Interview mit Julia Reda

Julia Reda. Photo by Diana Levine / dianalevine.com

Julia Reda ist Expertin für Urheberrecht und Kommunikationsfreiheit und leitet bei der Deutschen Gesellschaft für Freiheitsrechte das Projekt control ©. Von 2014-2019 war Julia Mitglied des Europäischen Parlaments, wo sie sich auf netzpolitische Themen, insbesondere die EU-Urheberrechtsreform und die Regulierung von Online-Plattformen, konzentriert hat. 

An der DINAcon 2021 werden wir am Morgen nach der Eröffnungsrede das Keynote Referat von Julia Reda hören. Unsere Konferenzmoderatorin Francesca Giardina (FG) ist schon vor der Konferenz mit Julia Reda (JR) ins Gespräch über digitale Freiheitsrechte und aktuelle Entwicklungen rund um das Thema Urheberrecht ins Gespräch gekommen und hat folgende, spannende Antworten erhalten:

(FG) Du warst 5 Jahre lang im Europäischen Parlament und bist nun Forscherin und Aktivistin für Freiheitsrechte im Netz. Was waren deine grössten Battles soweit?

(JR) Durch meine Arbeit im Europaparlament habe ich festgestellt, dass Engagement für die digitalen Grundrechte mit der Gesetzgebung nicht aufhört, sondern dann erst richtig anfängt. Oft haben Einzelpersonen hart erkämpfte Rechte, die im Gesetz stehen, aber diese Rechte werden in der Praxis dadurch noch lange nicht automatisch respektiert. Zum Beispiel: In der Urheberrechtsreform steht, dass legale Inhalte durch Uploadfilter nicht gesperrt werden dürfen, trotzdem kommt das in der Praxis ständig vor.

In der Verbraucherschutzpolitik ist das altbekannt, deshalb gibt es in allen EU-Ländern Verbraucherzentralen, die sich für die Durchsetzung dieser Rechte einsetzen. Für digitale Grundrechte hat das lange gefehlt. Deshalb habe ich mich nach meinem Ausscheiden aus dem Parlament der Gesellschaft für Freiheitsrechte angeschlossen. Wir setzen uns vor Gericht für die Durchsetzung der Grundrechte ein und berufen uns dabei immer mal wieder auch auf Gesetze, an denen ich auf EU-Ebene selbst mitgewirkt habe.

 

(FG) Du setzt dich schon seit Jahren für ein freies Internet ohne Netzsperren und für Netzneutralität ein. Momentan unterstützt Du einen DNS Server aus der Schweiz, der in Deutschland zu einer Netzsperre verdonnert wurde. Kannst Du in uns kurz erklären, was hier passiert ist und warum Netzsperren in einer offenen Demokratie problematisch sind?

(JR) Eigentlich schreibt das Europarecht vor, dass Internetzugangsanbieter und andere Vermuttlungsdienste nicht für illegale Handlungen Dritter haftbar sind. Dieser Grundsatz ist elementar für die digitale Entwicklung, weil nur so diese Dienstleistungen rechtssicher betrieben werden können. Das Landgericht Hamburg geht dennoch in seiner einstweiligen Verfügung davon aus, dass der nichtkommerzielle DNS-Dienst Quad9 für Urheberrechtsverletzungen auf Webseiten haftet, mit denen der Dienst nichts zu tun hat, außer dass er automatisch Anfragen nach deren Domainnamen in IP-Adressen auflöst. Wenn das Urteil Schule macht, müssten DNS-Dienste in Deutschland auf Zuruf von Rechteinhaber*innen Webseiten sperren, ohne dass ein Gericht diese Sperrung bestätigt hat und ohne dass die Nutzer*innen des DNS-Dienstes Rechtsmittel gegen falsche Sperrungen einlegen könnten. Denn durch die Störerhaftung entstünden für den DNS-Dienst unkalkulierbare Gerichts- und Abmahnkosten, wenn sie einer solchen Sperrforderung nicht Folge leisten. Es besteht dann eine große Gefahr, dass solche Dienste entweder in vorauseilendem Gehorsam auch legale Inhalte sperren oder sich ganz aus Deutschland zurückziehen.

 

(FG) Mit dem FOSSA Projekt willst Du die Open Source Infrastruktur des Internets beispielsweise durch Bug Bounty Ausschreibungen und Hackathons stärken. Du forderst auch, dass die EU hier mehr Verantwortung tragen soll. Wie schätzt Du die momentane Fitness der EU bezüglich digitaler Infrastruktur ein?

(JR) FOSSA war ein tolles Pilotprojekt, mit dem die EU-Kommission auf meinen Vorschlag hin erstmals die Identifizierung und Schließung von Sicherheitslücken in Open Source-Software finanziert hat. Daraus ist eine Initiative hervorgegangen, mit der die EU-Kommission für bestimmte kritische Open Source-Software Bug Bounties ausschreibt. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber viel zu wenig, um die europäische IT-Sicherheit wirklich nach vorn zu bringen. Meiner Meinung nach fehlt es vor allem an nachhaltiger, auf viele Jahre angelegter öffentlicher Förderung für IT-Infrastruktur – also nicht immer nur Förderungen für Innovationen und neue Entwicklungen, sondern auf die Basistechnologien, Softwarebibliotheken, Standards und Protokolle, auf die unsere IT-Sicherheit aufbaut. Das ist vielleicht nicht so sexy wie die Förderung von Enduser-Anwendungen, aber auf lange Sicht die bessere Investition.

 

(FG) Die EU hat 2019 die neue Urheberrechtsrichtlinie angenommen, inklusive berüchtigtem «Upload Filter» Artikel. Kommt jetzt das Ende des Internets, wie wir es kennen?

Nein, trotz der großen Gefahren, die von Uploadfiltern für die Meinungsfreiheit im Netz ausgehen, sind die Proteste gegen den berüchtigten Artikel 17 nicht folgenlos geblieben. In letzter Minute mussten die Verhandlungsparteien auf EU-Ebene Zugeständnisse an die Rechte der Nutzer*innen machen, um eine knappe Mehrheit für die Urheberrechtsreform im Europaparlament zu erringen. Viele Fans von Artikel 17 dachten damals wahrscheinlich, dass die Regelung, wonach legale Inhalte nicht gesperrt werden dürfen, ein Lippenbekenntnis bleiben würde. Es zeichnet sich aber ab, dass der Europäische Gerichtshof das anders sehen könnte. Der wird bald darüber urteilen, ob die Urheberrechtsreform überhaupt mit den Grundrechten vereinbar ist. Der Generalanwalt des Gerichtshofs empfiehlt, dass für eine grundrechtskonforme Anwendung die Uploadfilter ausschließlich offensichtliche Rechtsverletzungen sperren dürfen, also beispielsweise vollständige Uploads von Spielfilmen. Jegliche transformative Nutzungen wie beispielsweise Lets Plays, Parodien oder Memes müssten dagegen von automatischen Sperrungen ausgenommen sein, weil Uploadfilter nicht entscheiden können, ob solche Nutzungen rechtswidrig sind. Wenn der Gerichtshof dieser Ansicht folgt, wird der Schaden durch Uploadfilter zumindest erheblich begrenzt. Kommt es doch zur systematischen Sperrung legaler Inhalte, wollen wir von der Gesellschaft für Freiheitsrechte dagegen klagen. Uns kann man solche Fälle jetzt schon unter uploadfilter@freiheitsrechte.org melden.

 

(FG) Woher kommt eigentlich dein Aktivismus für digitale Freiheitsrechte, gab es da ein Schlüsselerlebnis? Ein besonderer Motivationsgrund?

(JR) Das Internet war für mich schon immer mehr als nur ein Werkzeug. Ich hatte das große Glück, Anfang der 2000er Jahre bereits sehr früh eine Internetflatrate zuhause zu haben. Das hat mir ganz neue Welten eröffnet. Über das Internet habe ich mein politisches Engagement gestartet, Hobbies gepflegt und nach meinem Umzug in eine neue Stadt neue Freund*innen gefunden. Ich bin immer noch überzeugt davon, dass das Internet trotz aller problematischen Entwicklungen ein riesiges emanzipatorisches Potential hat, dass es Raum für Kreativität, Zusammenarbeit und die Lösung großer gesellschaftlicher Probleme schaffen kann. Aber nichts davon passiert automatisch. Es kommt auf uns alle an, dafür zu sorgen, dass die Technologie uns Menschen zu mehr Freiheit und Selbstentfaltung verhilft, anstatt uns zu überwachen und zu kontrollieren.