Interview mit Peter Ganten

@peterganten

Peter Ganten studierte Physik und Psychologie. Er ist Gründer und CEO der Univention GmbH, ein OSS IT-Unternehmen. Seit 1994 beschäftigt er sich mit dem Thema Linux und wurde als Autor eines erfolgreichen Handbuches zu Debian GNU/Linux bekannt.

Peter Ganten ist seit 2011 Vorsitzender der OSB Alliance. Mit rund 170 Mitgliedern ist die OSB Alliance Deutschlands größtes Netzwerk von OSS Unternehmen und Organisationen.

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Was verstehen Sie unter digitaler Souveränität?  

Kern digitaler Souveränität ist die Fähigkeit von Staaten, Organisationen und Einzelpersonen, sicher bestimmen zu können, wer auf selbst erzeugte oder selbst gespeicherte Daten unter welchen Bedingungen, mit welcher Software und für welchen Zweck zugreifen kann.

Damit ist digitale Souveränität Voraussetzung für Datensicherheit, Investitionssicherheit sowie für Wettbewerbs- und Innovationsfähigkeit. Sie ist Grundlage für die Zukunftsfähigkeit von Staat und Wirtschaft und für das Selbstbestimmungsrecht jedes einzelnen Menschen.

Digitale Souveränität ist jedoch kein Zustand der binär erreicht oder nicht erreicht wird. Sie kann in Bezug auf bestimmte Bereiche größer und in anderen Bereichen geringer sein. Es muss deswegen immer entschieden werden, in welchen Bereichen hohe digitale Souveränität von hoher Bedeutung ist. Dort muss sie von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft ambitioniert vorangetrieben werden.

Zwingend erforderlich ist hohe digitale Souveränität aber bei der Verarbeitung sicherheitsrelevanter, vertraulicher oder Personen-bezogener Informationen, in Bereichen mit hohem Innovationspotential sowie bei Gefahr von Vendor-Lock-Ins mit entsprechenden Risiken.

 

Stichwort «Open Source in der öffentlichen Verwaltung» - können Sie uns kurz ein Best Practice Beispiel erläutern?  

Ich nenne Ihnen drei sehr erfolgreiche Bereiche:

  1. Die Gendarmerie in Frankreich setzt seit Jahren Ubuntu, LibreOffice und viele andere Open Source Produkte auf mehr als 80.000 Clients ein.
  2. Grosse Schulträger wie die Städte Hannover, Basel oder Köln nutzen Open Source Software für das zentrale Management der IT an zum Teil Hunderten von Schulen, einschließlich der Anwendungsbereitstellung, dem Identitätsmanagement und der Verwaltung der in den Schulen vorhandenen Endgeräte.
  3. Die Obama-Administration hat in den USA mit der Federal Source Code Policy eine Politik eingeleitet, die Bundesbehörden verpflichtet zumindest einen Teil der von Ihnen entwickelten Software unter Open Source Lizenzen zur Verfügung zu stellen. Mit "Code.gov" ist dazu ein Portal entstanden, dass die entsprechenden Projekte auffindbar und für andere Behörden nutzbar macht. Mittlerweile gibt es dort mehr als 6.000 Projekte und die Kollaboration der Behörden bei der Softwareentwicklung ist sehr viel einfacher und unkomplizierter geworden.

 

Nachhaltige und freie Software ist im Trend. Was halten Sie von der Integration und Expansion der grossen Konzerne (z.B. Microsoft, IBM) in Open Source Projekte?

Wenn ein Unternehmen das Richtige tut, ist das immer gut, egal ob es sich um ein großes Unternehmen handelt und auch wenn dieses Unternehmen in der Vergangenheit nicht immer im Sinne von Nachhaltigkeit und digitaler Souveränität seiner Anwender gehandelt hat.

Allerdings muss man schon genau hinschauen und vorsichtig sein. Viele Cloud Service Anbieter setzen ja ganz stark auf Open Source Software. Oft ist das aber nur ein Vehikel um Anwender auf die eigene Plattform zu bekommen. Nicht klar ist dann, ob auf diesen Plattformen wirklich Datensouveränität besteht und bei Nutzung der dort vorhandenen proprietären Dienste und APIs entsteht schnell eine neue Abhängigkeit, die noch viel stärker als der bisher mit proprietärer Software verbundener Vendor-Lock-In ist.